Frankenstein-Projekt

Wissenschaftler züchten Gehirne von Neandertalern im Labor

D. Lenz

Warum starben die Neandertaler vor rund 30.000 Jahren aus, der moderne Mensch jedoch nicht? )gro.aidepikiwthginK .R selrahC(Foto: © 

War der Neandertaler weniger klug als der moderne Mensch? Wissenschaftler suchen mit einer sehr ungewöhnlichen Methode nach einer Antwort auf diese Frage.

Wien (Österreich). Die Frage, warum vor rund 30.000 Jahren der Neandertaler ausstarb und warum der moderne Mensch als einziger Vertreter der Gattung Homo übrigblieb, zählt definitiv zu den spannesten Fragen der Anthropologie.

Zu diesem Thema gibt es tausende Studien aus der ganzen Welt, jedoch gibt es bis heute keine klare Antwort auf diese Frage. Dies liegt unter anderem auch daran, dass sich alle Hypothesen empirisch nur schwer belegen lassen. Im Jahr 2009 entschlüsselte der Paläogenetiker Svante Pääbo und seine Kollegen das Neandertaler-Genom. Aus den Ergebnissen erhoffte sich die Wissenschaft endlich Fakten, die eine befriedigende Antwort liefern konnten. Tatsächlich konnten in der DNA des Neandertalers Abweichungen zu unserer gefunden werden: Wenige, aber dafür sehr signifikante Unterschiede. Trotz der neuen Erkenntnisse bliebt die eigentliche Frage jedoch weiter ungeklärt.

Neue Methoden der Gentechnik müssen her

Die Forscher sind sich jedoch sicher, dass die geistige Überlegenheit des modernen Menschen keine Sache der reinen Gehirngröße war, denn in den Schädeln der Neandertaler boten mehr Platz für das Gehirn als die Schädel des modernen Menschen. Doch da von der Gehirnmasse der Neandertaler heute nichts mehr erhalten ist, blieb den Wissenschaftler nur die Möglichkeit, die Hohlräume im Inneren des Schädels zu analysieren – bis jetzt.

Pääbo kündigte im Rahmen eines Vortrags in Wien an, wie man die unterschiedliche Entwicklung des Gehirns des Neandertalers und des modernen Menschen auf die Spur kommen könnte: Durch gezielte Züchtung von Neandertaler-Minigehirnen im Labor.

Das Experiment erzielt bereits erste Fortschritte

So unglaublich und spektakulär wie sich Pääbo’s Vorschlang anhört, ist er auch. Zwar werden die Minigehirne, sogenannte Organoide, nur so groß wie ein Stecknadelkopf, dennoch können sie wertvolle und einzigartige Forschungsergebnisse liefern. Möglich wurde dieser ungewöhnliche Ansatz durch die Kombination von drei Forschungsfeldern: Der Analyse alter DNA, der Genschere CRISPR/Cas9 sowie der gezielten Züchtung von Minigehirnen, die am IMBA in Wien erfunden wurde.

Die Wissenschaftler berichten im Fachmagazin Science über die ersten vielversprechenden Fortschritte ihrer Experimente. So gelang es ihnen bereits, in die Stammzellen die Neandertaler-Version des Gens NOVA1 exakt mit Hilfe CRISPR/Cas9 einzufügen.

Unterschiede im Gehirn wurden schnell sichtbar

Die manipulierten Stammzellen wuchsen anschließend zu den kleinen Gehirnen heran, um die Großhirnrinde des Neandertalers im Kleinen nachzubilden. Dabei zeigten sich schnell interessante Unterschiede: Die Hirnzellen des Neandertalers wanderten wesentlich schneller innerhalb des Organoids und ähnelten optisch kleinen Popcorns, während die menschlichen Organoide die bekannte Kugelform bildeten.

Die Forscher stellten bei den Neandertaler-Organioden zudem fest, dass deren innere Organisation Ähnlichkeiten mit den Gehirnen von Menschen mit neurologischen Defekten wie beispielsweise Autismus aufwiesen.

Frankenstein-Projekt: Minigehrine in Robotern

Jetzt wird es jedoch ein wenig verrückt, denn die Wissenschaftler planen nach Abschluss ihres Experiments, die menschlichen Organiode mit kleinen Robotern zu verbinden. Sie hoffen, dass die kleinen Minigehirne eigenständig lernen, diese krabbenähnlichen Maschinen zu steuern. Sollte dieses an Frankenstein erinnernde Projekt gelingen, so wollen die Wissenschaftler auch die Neandertaler-Gehirne in den Roboter verpflanzen und sehen, wie beide zusammen interagieren.

Spannend & Interessant
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