Innovationen

Bautechnik und -materialien neu gedacht

D. Lenz

Stilistisch mag sich der Wandel im Bau am ehesten bemerkbar machen. Doch auch in Sachen Materialien steht viel an. )moc.ailotofnoitcudorp_vs(Foto: © 

Auf den Laien mag es so wirken, als hätte sich „auf dem Bau“, abgesehen vom Design, seit Jahrhunderten nicht viel getan. Dem ist definitiv nicht so. Und vor allem die Zukunft hält noch viel Aufregendes bereit.

„Stein auf Stein, Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein“. So dürften es die meisten Leser nicht nur aus ihrer Kindheit noch kennen, so sehen viele auch heute noch den Bau eines Hauses vor dem inneren Auge. Doch schon das immer stärkere Wegbrechen der traditionellen Stein-auf-Stein-Methode zugunsten vorfabrizierter Fertighausteile aus Holz oder Beton zeigt, dass Bautechnik sich derzeit im Wandel befindet. Woran die Architekten, Ingenieure und Materialwissenschaftler für die Zukunft arbeiten, zeigt der folgende Artikel.

Beton filigran

Beton ist das Fundament des modernen Menschen. Nicht nur, weil es ein recht günstig herzustellendes Produkt ist. Beton kann in fast jeder Klimazone außer bei scharfem Frost verarbeitet werden. Er trägt enorme Kräfte von vielen dutzend Newton pro Quadratmillimeter und härtet sogar noch unter Wasser aus. Eines kann Beton jedoch nicht: Zugkräfte aufnehmen. Das liegt daran, dass die Kohäsionskräfte im Inneren des Materials im Vergleich zu seiner Dichte nicht sonderlich hoch sind.

Das bedeutet, überall dort, wo die Gefahr besteht, dass Beton durch Zug- bzw. Biegezugkräfte belastet wird, muss er mit einem Material armiert werden, das diese Kräfte aufnimmt. Aufgrund des Preises kommt dafür seit dem späten 19. Jahrhundert Stahl zum Einsatz, der für alle Ansprüche bestens geeignet ist. Doch auch dieses Metall hat ein Problem, es oxidiert. Um zu verhindern, dass dies im Inneren des Betons geschieht, was durch Ausdehnung zu Schäden führen würde, muss armierter Beton wesentlich voluminöser gegossen werden, als es für die zu erwartenden Belastungen notwendig wäre – der Querträger einer Brücke könnte um die Hälfte geringer ausfallen, ginge es rein um die Belastungen durch Eigengewicht, Wind und Verkehr.

Das möchte das C3-Konsortium der Technischen Universität Dresden ändern. Ein Team aus Materialwissenschaftlern, Architekten, Ingenieuren und der Industrie. Das Ziel, Armierungen aus Kohlefasern statt Stahl zu implementieren. Ein weit fortgeschrittenes Konzept, das sich nicht nur mit einer möglichst umweltneutralen Herstellung der Kohlefasern aus Holzabfall befasst, sondern auch mit den praktischen Implikationen, die der neue Werkstoff nach sich ziehen soll.

Tatsächlich wäre das eine Revolution im Betonbau. Durch die Zugfähigkeit der Kohlefasern, die um das Sechsfache über der von Stahl liegt, in Verbindung mit der absoluten Witterungsbeständigkeit, entstehen völlig neue Möglichkeiten. Beton könnte das werden, was er bislang nie war: filigran, zurückhaltend, leicht. Wie das aussehen könnte, soll nach einigen Materialstudien 2019 in Dresden beim CUBE-Haus gezeigt werden, das vollständig daraus besteht.

Fundamentales

Zukunft muss nicht immer aus dem Nichts erschaffen sein, sondern kann sich von der Vergangenheit inspirieren lassen. Bestes Beispiel: Fundamente. Traditionell werden hier einige zentrale Bauweisen herangezogen, die sich vor allem dahingehend unterscheiden, wie der Untergrund beschaffen ist und welche Lasten darauf ruhen werden – ohne Fundament geht es nicht.

Abermals ist das eine klassische Aufgabe für Beton. Im einfachsten Fall, dem Plattenfundament, wird daraus einfach eine stahlbewehrte Scheibe gegossen, auf der ein ganzes Haus ruhen kann. Sind die Lasten im Inneren weniger, reicht auch ein Streifenfundament, auf dem nur die Außenwände ruhen und das innen punktuell durch Punktfundamente ergänzt wird. Doch auch hier bleibt die Zeit nicht stehen. Insbesondere deshalb, weil Fundamente viel Beton benötigen und das Material schlicht mit der Zeit knapp werden könnte.

An diesem Punkt kommt die Inspiration aus der Vergangenheit ins Spiel. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich haben sich Architekten mit historischen Bautechniken befasst. Mit Gewölben, Wabenkonstruktionen usw., wie sie teilweise seit Jahrtausenden verwendet wurden. Diese Erkenntnisse applizierten sie auf die modernen Bedürfnisse von Fundamenten und Zwischendecken im Gebäudebau.

Heraus kamen Elemente, die zwar aus Beton bestehen, aber ohne jegliche Bewehrung auskommen. Computerberechnet wurden die Teile so gerippt, dass sämtliche Zugkräfte vom Beton selbst aufgenommen werden können, ohne dass dazu irgendeine Armierung notwendig wäre. In der Praxis könnte das ein Plattenfundament um 70 Prozent erleichtern, ohne dass eine Stabilitätsreduktion zu befürchten wäre – und durch die Abwesenheit der Stahl-Armierung können auch einige Schritte der Abdichtung entfallen.

Stabil wie Eierschalen

Die vorherigen beiden Punkte stellten Arbeiten von Wissenschaftlern aus Deutschland und der Schweiz vor. Für diesen dritten Punkt wenden wir unseren Blick zur britischen Insel, genauer gesagt zur renommierten Cambridge University.

Hier befasst man sich mit einem gravierenden Problem: Traditionelle Baumaterialien, darunter vor allem Beton, sind, selbst wenn sie mit dem biologisch abbaubaren Carbon armiert sind, energetisch enorm problematisch. Das liegt daran, dass der Herstellungsprozess des Zementpulvers sehr viel Energie benötigt. Rechnet man den nicht minder energieaufwändigen Stahlkochprozess dazu, entstehen, so wird vermutet, nicht weniger als zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen durch Beton- und Stahlherstellung.

In Cambridge möchte man deshalb gänzlich weg von diesen Stoffen, egal wie innovativ sie auch neu gedacht werden können. Dort denkt man in eine ganz andere Richtung. So gelang es im Versuch, künstliche Eierschalen und Knochenfragmente aus Mineralien und Proteinen herzustellen – chemisch nicht vom Original zu unterscheiden, im Gegensatz zum Hühnerei jedoch einfarbig. Interessant ist dabei, dass sich beide Materialien – Knochen und Schale – nur durch das Mischungsverhältnis von Mineralien zu Proteinen unterscheiden. Entweder sehr hart (wie die Schale) oder zäh. Daraus könnte dereinst ein Baustoff entstehen, der keine hohen Temperaturen zu seiner Herstellung benötigt und daher wesentlich weniger klimaschädlich wäre.

Allerdings ist das momentan alles noch Grundlagenforschung mit positiven Ergebnissen. Bis die ersten Gebäude aus künstlichen Knochen gefertigt werden, dürften noch Jahrzehnte vergehen.

Uralt und doch neu

Das letzte Kapitel dieses Artikels führt uns wieder zurück auf den Kontinent, nach Krakau an die dortige Technische Universität. In vielen Regionen der Erde gehört das, was zu den Ur-Bestandteilen der Erdkruste gehört, seit teilweise Jahrhunderten fest zu den verwendeten Baumaterialien dazu.

Etwa Steine aus Bimsbeton. Sie werden in Westdeutschland seit vielen Jahrzehnten verwendet, das dazugehörige Grundmaterial entstammt beinahe exklusiv aus einer einzelnen Eruption eines Vulkans in der Vordereifel, einige Kilometer westlich von Koblenz – dessen Caldera heute als Laacher See bekannt ist. Ähnlich auch im Bereich des aktuell als hochgefährlich eingestuften Yellowstone-Vulkans im Nordwesten der USA.

Der Vorteil solcher vulkanischen Gesteine bei der Verwendung als Baumaterial ist, dass sie a) schon in sehr großen Mengen vorhanden sind, nicht also erst umgewandelt werden müssen und b), dass ihre Materialeigenschaften für einige Stellen im Hausbau enorm förderlich, ja sogar einzigartig sind.

Hier kommen die Krakauer Materialwissenschaftler ins Spiel. Sie untersuchten Tuffstein und arbeiteten es in eine Geopolymer-Mixtur um. Unter dem Begriff versteht man alkalisch aktivierte, anorganische Bindemittel, die auf Silikaten basieren. Und dieser Zuschlagstoff, der beispielsweise in Steine oder auch Beton eingearbeitet werden könnte, hat es in sich.

Durch seine vulkanische Vergangenheit ist die Resistenz gegenüber Hitze wesentlich höher als bei jedem anderen bekannten Baumaterial. Nicht nur, dass es nicht brennt, es verliert auch bei steigenden Temperaturen nicht seine Festigkeit – ein Problem, das hauptsächlich für den letztendlichen Einsturz der World-Trade-Center-Türme verantwortlich war; die Skelettkonstruktion war durch die Hitze so weich geworden, dass sie das Gewicht der oberen Stockwerke nicht mehr tragen konnte.

Tatsächlich wird dieses Tuff-Geoploymer sogar mit steigender Temperatur noch fester. Dadurch wird es zwar kein Zukunfts-Baustoff für sich, aber könnte künftig enorme Bedeutung für den Brandschutz bekommen und in aufgeschäumter Form auch als feuerfeste, natürliche Variante von Mineralwolle zur Wärmedämmung.

Spannend & Interessant
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